Dieser Rechtstipp thematisiert die rechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Anwendung einer Außenseiter-Behandlungsmethode sowie den Umfang der hierfür erforderlichen Patientenaufklärung.
Der Bundesgerichtshof hatte sich mit einem Fall zu befassen, in dem im Rahmen einer Halswirbelsäulen-Operation nicht nur der auf MRT-Aufnahmen dokumentierte Bandscheibenvorfall im Wirbelsäulensegment C5 / C6 fixiert wurde, sondern auch einer ärztlichen Mindermeinung folgend das Nachbarsegment C4 / C5 (BGH, Urteil vom 15.10.2019 – VI ZR 105/18 -).
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Klägerin zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der BGH hat dies damit begründet, dass die Vorinstanzen die rechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Anwendung einer Außenseitermethode aus dem Blick verloren hatten.
Die Anwendung eines nicht allgemein anerkannten, den Korridor des medizinischen Standards verlassenden Verhandlungskonzepts stellt nicht ohne weiteres einen Behandlungsfehler dar. Die Therapiewahl ist primär Sache des Arztes, dem die Rechtsprechung einen weiten Beurteilungsspielraum einräumt. Auch ist der Arzt dabei nicht stets auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg festgelegt. Eine nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode darf jedoch nur dann angewendet werden, wenn die medizinische Abwägung der Vor- und Nachteile im Vergleich mit der standartgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohl des Patientens die Anwendung der Außenseitermethode rechtfertigt. Höhere Belastungen oder Risiken des Patienten müssen in den Besonderheiten des konkreten Falls oder in einer günstigeren Heilungsprognose eine sachliche Rechtfertigung finden. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs reicht es daher nicht, wie in dem zu entscheidenden Fall geschehen, den Patienten allein über den präventiven Charakter des geplanten Vorgehens zu informieren. Vielmehr sind auch Feststellungen darüber zu treffen, wie die Vorteile der Außenseitermethode im Verhältnis zu den damit einhergehenden Nachteilen zu gewichten sind. Dem sind die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts nicht gerecht geworden.
Zudem hatten die Vorinstanzen zu geringe Anforderungen an die Aufklärung des Patienten bei der Wahl einer Außenseitermethode gestellt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Methode zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten dessen Aufklärung über das Für und Wider dieser Methode. Daher müssen dem Patienten nicht nur die Risiken und die Gefahren eines Misserfolges erklärt werden. Vielmehr muss er darüber unterrichtet werden, dass der geplante Eingriff nicht bzw. noch nicht dem medizinischem Standard entspricht.
Kurzum: Der Patient muss wissen, auf was er sich einlässt und ob er die Risiken einer eventuell nur relativ indizierten Behandlung im Hinblick auf deren Erfolgsaussichten und sein Befinden eingehen will.
Da diese Fragen von dem Berufungsgericht nicht geklärt worden waren, wurde der Rechtstreit von dem Bundesgerichtshof an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Rechtsanwältin Birgit Schunter.