Ziehen Ehegatten eine Trennung in Erwägung oder leben sie bereits voneinander getrennt, stellt sich häufig die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einleitung eines Ehescheidungsverfahrens vorliegen. Die Scheidungsvoraussetzungen sind in den §§ 1564 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) abschließend gesetzlich normiert.
I. Das Scheitern der Ehe
1. Das Zerrüttungsprinzip
Die Ehe kann (nur) geschieden werden, wenn sie gescheitert ist, § 1565 Absatz 1 Satz 1 BGB. Nach dem sog. Zerrüttungsprinzip ist die Ehe gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht (Diagnose) und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen (Prognose), § 1565 Absatz 1 Satz 2 BGB. Unerheblich ist hingegen, ob ein Ehegatte das Scheitern der Ehe verschuldet hat.
Da die Ehe gemäß Art. 6 Absatz 1 des Grundgesetzes besonders verfassungsrechtlich geschützt ist und der Gesetzgeber den Fortbestand der Ehe fördern will, bedarf es einer kritischen Prüfung, ob die Ehe in dem konkreten Fall tatsächlich gescheitert ist. In der familienrechtlichen Praxis stimmen die Vorstellungen der Ehegatten von einer gescheiterten Ehe nicht immer mit den Anforderungen, die das Gesetz an eine gescheiterte Ehe stellt, überein.
Für eine Zerrüttung der Ehe sprechen unter anderem das Getrenntleben und dessen Dauer, der Ehebruch, eine anhaltende anderweitige Partnerschaft, die Unverträglichkeit der Charaktere der Ehegatten sowie Misshandlungen, Beleidigungen und strafbare Handlungen.
2. Einseitiger Scheidungswille
Nicht immer wollen beide Ehegatten geschieden werden. Bedeutsam ist, dass die einseitige Zerrüttung aus der Sicht eines Ehegattens ausreicht. Wendet sich ein Ehegatte endgültig von seinem Ehepartner ab, kann die Ehe, sofern die Ehescheidungsvoraussetzungen vorliegen, auch dann geschieden werden, wenn der andere Ehegatte mit der Scheidung nicht einverstanden ist. Die Ehe kann damit auch gegen den Willen eines Ehegatten geschieden werden.
3. Einvernehmliche Ehescheidung
Häufiger kommt es jedoch vor, dass sich Ehegatten einvernehmlich scheiden lassen. Nach Ablauf des Trennungsjahres können beide anwaltlich vertretenen Ehegatten die Ehescheidung beantragen. Rechtlich zulässig – und nicht selten zeit- und kostensparender – ist die sog. einvernehmliche Ehescheidung, bei der sich nur ein Ehegatte vor dem Familiengericht anwaltlich vertreten lässt und der andere Ehegatte, ohne anwaltlich vertreten zu sein, der Ehescheidung zustimmt. Für die Zustimmung zur Scheidung besteht kein Anwaltszwang, § 114 Absatz IV Nr. 3 FamFG.
4. Vermutung für das Scheitern
Leben die Ehegatten seit einem Jahr getrennt und beantragen beide Ehegatten die Scheidung beziehungsweise stimmt ein Ehegatte dem Scheidungsantrag des anderen Ehegatten zu, wird gemäß § 1566 Absatz 1 BGB unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist. Dauert die Trennung der Eheleute bereits mindestens drei Jahre an, wird das Scheitern der Ehe ebenfalls unwiderlegbar vermutet – ohne dass der Antragsgegner einen eigenen Ehescheidungsantrag stellen oder dem seines Ehepartners zustimmen müsste, § 1566 Absatz 2 BGB.
II. Das Trennungsjahr
1. Grundsatz: Ablauf des Trennungsjahres
In dem Bestreben, dass sich die Ehegatten nach einer Trennung womöglich doch wieder versöhnen, versucht der deutsche Gesetzgeber, voreilig eingeleitete Ehescheidungsverfahren durch das Abwarten des Trennungsjahres zu verhindern. Grundsätzlich kann die Ehe somit frühestens geschieden werden, wenn die Ehegatten seit mindestens einem Jahr voneinander getrennt leben.
Die Ehegatten leben getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt, § 1567 Absatz 1 Satz 1 BGB. Dies ist jedenfalls ab dem Auszug eines Ehegatten aus der bisherigen Ehewohnung der Fall.
Denkbar ist auch, dass die Trennung – jedenfalls vorerst – innerhalb der Ehewohnung vollzogen wird und das Trennungsjahr in dieser Zeit abläuft, § 1567 Absatz 1 Satz 2 BGB. Hieran stellt die Rechtsprechung allerdings strenge Anforderungen, die – insbesondere, wenn sich ein Ehegatte gegen das vermeintliche Getrenntleben wendet – unbedingt einzuhalten sind.
2. Ausnahme: Vorzeitige Ehescheidung
Leben die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt, kann die Ehe nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung für den scheidungswilligen Ehegatten aus Gründen, die in der Person seines Ehepartners liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde, § 1565 Absatz 2 BGB. An das Vorliegen dieser gesetzlich normierten Härteklausel stellt die Rechtsprechung besonders hohe Anforderungen. Die unzumutbare Härte muss sich auf das Eheband, das heißt auf das „Weiter-miteinander-verheiratet-sein“ beziehen, nicht bloß auf die Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens. Bloße Schwierigkeiten, Unstimmigkeiten oder ehetypische Zerwürfnisse reichen nicht aus (OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2016, Az.: 13 UF 141/16 in FamRZ 2016, 1854). Ausnahmsweise kann eine Ehescheidung vor Ablauf des Trennungsjahres bei Misshandlungen des anderen Ehegatten, bei Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie in Fällen schwerwiegender Beleidigungen und grober Ehrverletzungen in Betracht kommen.
In der familienrechtlichen Praxis ist die Scheidung einer Ehe vor Ablauf des Trennungsjahres der Ausnahmefall. In der Pressemitteilung Nr. 251 vom 10.07.2018 teilte das Statistische Bundesamt mit, dass 82,6 % der 153.500 im Jahr 2017 geschiedenen Ehen nach vorheriger Trennungszeit von einem Jahr geschieden wurden.
3. Sonderfall: Die Härteklausel
Der umgekehrte Fall, dass eine gescheiterte Ehe nicht geschieden werden soll, kommt in der familienrechtlichen Praxis nur selten vor. Verhindert werden soll die sog. Scheidung zur Unzeit, etwa wenn der Fortbestand der Ehe im Interesse aus der Ehe hervorgegangener minderjähriger Kinder notwendig ist oder eine Ehescheidung für einen Ehegatten aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine schwere Härte darstellen würde.
III. Beratung und Vertretung
Unsere Rechtsanwälte/innen von Brunner, Liesenborghs & Partner beraten und vertreten rund um das Thema Ehescheidung.
In einem persönlichen Beratungsgespräch klären wir, ob die Ehe unter rechtlichen Gesichtspunkten gescheitert ist und ob beziehungsweise wann die Einleitung eines Ehescheidungsverfahrens sinnvoll ist. Wir besprechen den Ablauf des Trennungsjahres sowie ob und unter welchen Voraussetzungen eine Trennung auch innerhalb der Ehewohnung in Betracht kommt.
Liegen die Ehescheidungsvoraussetzungen bereits vor, leiten wir das Ehescheidungsverfahren vor dem zuständigen Familiengericht ein und klären umfassend über den Ablauf des Ehescheidungsverfahrens sowie die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen des Verfahrens auf.
Einzelheiten zu unseren Tätigkeitsbereichen im Familienrecht sind unter der Rubrik „Familienrecht“ abrufbar.
Dieser Rechtsbeitrag wurde verfasst von Rechtsanwalt Philipp Nann.